BGH urteilt: Der Lockdown und die Mietzahlungen

Im Januar 2020 wird das Corona-Virus erstmals in Bayern nachgewiesen. Am 11. März verbietet der Gesundheitsminister Großveranstaltungen mit mehr als 1 000 Personen. Am 22. März ging ganz Deutschland in den ersten Lockdown, der bis zum 4. Mai andauern sollte.

Besonders der Einzelhandel war von den Maßnahmen betroffen. Die Kunden blieben für Monate aus, der Vermieter verlangte aber den Mietzins weiter in voller Höhe. Die Händler mussten also ihre Reserven angreifen, wenn sie nicht im Internet ihre Bilanz ausgleichen konnten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun jedoch beschlossen, dass die Betroffenen eine Mietminderung gelten machen können.

Der grundsätzliche Anspruch auf eine Mietminderung

Wurden Geschäfte im Lockdown geschlossen, kann der Einzelhändler nun auf eine Mietminderung auf gesetzlicher Grundlage hoffen. Einige hatten sogar auf eine hälftige Aufteilung zwischen Mieter und Eigentümer gehofft. Eine derart pauschale Lösung lehnt der BGH allerdings ab. Vielmehr müssen in jedem Einzelfall alle konkreten Umstände in Betracht gezogen werden (Az. XII ZR 8/21).

Der Mieter kann demnach nicht grundsätzlich eine Mietanpassung verlangen. Rechtsexperten erwarten eine Prozessflut und komplizierte, lang andauernde Verfahren.

Die Corona-Pandemie gehört zu den Ereignissen, die bei einem Vertragsabschluss niemand auf der Rechnung hatte. Die Parteien konnten von einer derartigen Entwicklung nicht ausgehen, die zu erheblichen Umsatzeinbußen führte.

Derartige Vorgänge fassen die Juristen unter dem Begriff „allgemeines Lebensrisiko“ zusammen. Damit beschreiben sie zwar unscharf, aber für die Praxis ausreichend unvorhersehbare Einflüsse auf die Voraussetzungen der Vereinbarung.

Kontinuität als Geschäftsgrundlage

Weil aber keiner der Beteiligten sich auf Corona einstellen konnte, nicht im Handel und auch nicht im Gewerbe, ist das Risiko auch keinem alleine zuweisbar. Mit dem Lockdown war die sogenannte „große Geschäftsgrundlage“ betroffen, so die Richter. Die Vertragsparteien könnten grundsätzlich immer davon ausgehen, dass grundlegende politische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen kontinuierlich bestehen bleiben und ihre „Sozialexistenz nicht erschüttert werde“.

Im gesetzlichen Sinn liegt auf der anderen Seite kein wirklicher Mangel vor, der dem Vermieter zuzurechnen wäre. Denn die Händler konnten ihre angemieteten Räumlichkeiten stets weiter nutzen. Die staatliche Maßnahme des Lockdowns betraf nicht die Beschaffenheit oder die Lage der betroffenen Mieteinheiten, sondern nur die Art der Nutzung sowie den Publikumsverkehr.

Erhebt der Händler nun Ansprüche auf eine Mietminderung, müssen die Gerichte jeden Einzelfall verhandeln, die Höhe der Umsatzeinbußen genau feststellen. Dabei geht es immer um eine konkrete Filiale und nicht etwa um den gesamten Konzern, so Hans-Joachim Dose, der Vorsitzende Richter am BGH. Auch sind Leistungen von Versicherungen zu berücksichtigen sowie Hilfszahlungen, die der Staat zur Verfügung gestellt hat. Darlehen sind allerdings ausgenommen. Zu beachten ist weiterhin, dass entstandene Nachteile nicht über die Maßen kompensiert werden.

Kik als Vorreiter

Zur Verhandlung beim BGH kam es, weil der Textil-Diskounter Kik geklagt hatte. Ihm ging es um den Fall einer seiner Filialen in Sachsen. Zwischen dem 19. März und dem 19.April 2020 war in der Nähe von Chemnitz ein Textilgeschäft geschlossen, und der Vermieter der Geschäftseinheit verlangte die Miete in voller Höhe von etwa 7 850 Euro.

Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden war der Auffassung, der Konzern müsse nur die Hälfte der Summe begleichen. Dieses Urteil hob der BGH nun auf mit der Begründung, die Richter in Dresden hätten die besonderen Umstände außer Acht gelassen, weshalb die Angelegenheit neu zu verhandeln sei.

Der Textil-Discounter war von Anfang an anderer Auffassung und zeigte sich nach der Urteilsverkündung zufrieden. Sein Chef Patrick Zahn sieht die Praxis seines Unternehmens bestätigt. Kik, so die Stellungnahme von Zahn, verhandelt Kompensationen mit allen Eigentümern der Läden in Einzelgesprächen.

Bisher konnten mit dem größten Teil der Vermieter außergerichtliche Einigungen erzielt werden. Die Absprachen enthalten Vereinbarungen über eine Teilung der angefallenen Mietkosten oder andere Kompensationen. Auch mit dem beklagten Vermieter kam es für 2021 zu einer partnerschaftlichen Lösung. Kik hat bei dem Hausbesitzer zwei Ladenflächen gemietet.

Verbände zeigen sich zuversichtlich

Für den BTE Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren ist es nur nachvollziehbar, wenn Nachteile und Kosten der erzwungenen Schließungen von allen Beteiligten zu gleichen Teilen übernommen werden. Die in dem Verband organisierten Geschäfte zahlen besonders in Innenstädten vielfach sehr hohe Mieten.

Und viele konnten sich mit den Hauseigentümern während der Kontaktbeschränkungen nicht auf eine Mietminderung einigen. Nun aber profitieren sie von der Rechtsprechung des BGH, so Rolf Prangels, der Hauptgeschäftsführer des Verbands. Der Handelsverband Deutschland begrüßte den Richterspruch ebenfalls.

Der Immobilienverband setzt auf Einvernehmlichkeit

Der Immobilienverband Deutschland (IVD) warnt vor Fehlinterpretationen. Die Auffassung, der Vermieter sei nun sogar in jedem Fall verpflichtet, die Miete teilweise zu mindern, gehe über die Intention des Gerichts hinaus.

Jürgen Michael Schick, der Verbandspräsident, betont, dass es nach der Auffassung der Richter auf die jeweils besonderen Umstände und die tatsächliche Situation des Ladengeschäfts ankomme. Denn schließlich sind sowohl Mieter als auch Vermieter von einer Situation betroffen, „die für sie so nicht absehbar war“.

Ein Gerichtsverfahren solle jedoch die Ausnahme bleiben, der Verband bevorzuge einvernehmliche Lösungen im Sinne aller Beteiligten.

Keine einheitliche Tendenz erkennbar

Die nun verhandelten Konflikte waren bereits sehr früh in der Pandemie bekannt.

Der Gesetzgeber sah sich bereits Ende 2020 zu einer entsprechenden Klarstellung veranlasst. Demnach kann ein gewerblicher Mieter die Anpassung seiner Mietvereinbarung verlangen, wenn er aufgrund der Corona-Maßnahmen schließen muss oder sein Geschäft nur mit Einschränkungen (begrenzte Kundenzahl) öffnen darf.

Die Juristen gehen davon aus, dass die Vertragsparteien nicht zu einer Einigung gefunden hätten, wenn die Ereignisse der Zukunft erwartet worden wären (allgemeines Lebensrisiko, s. o.)

Hier kamen die Richter aber zu einem anderen Ergebnis:
Der Inhaber eines Geschäftes habe unter diesen Voraussetzungen eben keinen automatischen Anspruch auf einen auch nur teilweisen Erlass der Mietzahlungen.
Als Alternative kann der Eigentümer einen Aufschub gewähren.

Weitere Verhandlungen sind zu erwarten

Nicht zum ersten Mal befassen sich oberste Gerichte mit der Pandemie und ihren Folgen. In letzter Zeit häufen sich allerdings die Anlässe. Im Januar 2022 wird in Karlsruhe darüber verhandelt, ob einem Gastronomen Ersatzleistungen zustehen.

Er hatte eine Betriebs¬schließungs-Versicherung abgeschlossen und hofft auf die gerichtliche Bestätigung seiner Ansprüche, weil er während des Lockdowns sein Lokal zusperren musste.

Der BGH kündigte bereits an, er werde über ähnliche Forderungen auf Schadenersatz und Entschädigungen Anfang März verhandeln. Die durch Corona bedingten Betriebsschließungen veranlassten auch den Inhaber eines Gaststätten- und Hotelbetriebs, den Klageweg zu beschreiten.

Beklagte ist niemand Geringeres als das Land Brandenburg, das ihm seine Einbußen ersetzen soll, die durch bereits gewährte Soforthilfen nicht ausgeglichen wurden.

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