Wirecard vor dem Aus

Dem kometenhaften Aufstieg folgt der tiefe Fall des einstigen Lieblings der Börse: Der in einen Bilanzskandal verstrickte Zahlungsdienstleister beantragte am 25. Juni die Eröffnung eines Insolvenzantrages beim Amtsgericht München.

Begründet wurde der Schritt mit Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit. Zuvor wurde bekannt, dass in der Bilanz des Unternehmens fast zwei Milliarden Euro fehlen. Zu Beginn der Woche wurde der zurückgetretene Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft, Markus Braun, festgenommen.

Der Verdacht auf Bilanzfälschung beim Bezahldienstleister mit Sitz in Aschheim bei München kam bereits vor einiger Zeit auf, als die renommierte britische Wirtschaftszeitung Financial Times über Unregelmäßigkeiten im Asien-Geschäft berichtete.

Im Oktober 2019 schrieb die Zeitung, dass der bedeutende Teil der Umsätze des Unternehmens mit Drittfirmen in Asien nur vorgetäuscht sei. Braun wies die Mutmaßungen der Financial Times stets als haltlos zurück. Schon nach den ersten Berichten reagierte die Aktie der Gesellschaft mit heftigen Kursausschlägen, worauf die Finanzaufsicht Bafin und die Staatsanwaltschaft in München untersuchten, ob Kursmanipulationen dahinter steckten.

Misstrauen in größerem Ausmaß erweckte der Zahlungsdienstleister dann in den vergangenen Monaten, als die Vorlage für die Bilanz des Jahres 2019 mehrmals verschoben werden musste. Die Wirtschaftsprüfer EY (ehemals Ernst & Young) verweigerten der Firma das Testat, ohne das die Banken Kredite in Milliarden-Höhe kündigen könnten.

Doch diesem Schritt kam die strauchelnde Gesellschaft mit dem eigenen Insolvenzantrag zuvor.

EY begründete das verweigerte Testat mit dem Umstand, dass die Existenz der ominösen 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten bei Banken auf den Philippinen nicht ausreichend vom Unternehmen nachgewiesen werden konnten. Wirecard selbst sah sich selbst als Betrugsopfer an und stellte Anzeige gegen Unbekannt.

Welche Rolle in diesem Skandal der Ex-Vorstandschefs Markus Braun spielte, ist derzeit noch unklar. Nach Zahlung einer hohen Kaution ist Braun mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Als Schlüsselfigur bei der Aufklärung des Falls gilt auch das ehemalige Vorstandsmitglied Jan Marsalek.

Er wurde am 18. Juni vom Aufsichtsrat der Gesellschaft mit sofortiger Wirkung entlassen und war zuvor jahrelang für das operative Geschäft beim Zahlungsabwickler zuständig. Zudem gilt er als Vertrauter Brauns.

Derzeit ist Marsalek flüchtig und wird in China vermutet. Auch gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachts der Falschinformation von Anlegern und des Verdachts auf Bilanzfälschung.

Wirecard war vor nicht allzu langer Zeit noch ein an der Börse heiß begehrter Titel. Die Aktie erreichte Anfang September 2018 ein Rekordhoch bei einem Kurs in Höhe von fast 200 Euro und wurde kurz darauf in den Deutschen Aktienindex DAX aufgenommen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte der Online-Zahlungsabwickler einen größeren Börsenwert als die Deutsche Bank und wollte diese sogar zwischenzeitlich übernehmen um einen großen Finanzkonzern zu schmieden.

Infolge der jüngsten Turbulenzen stürzte die Aktie beispiellos ab und notiert nach dem Insolvenzantrag nur noch im niedrigen einstelligen Bereich. Der baldige Rauswurf aus dem Deutschen Aktienindex gilt als sicher.

Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen zwischen Verbrauchern, Händlern und Unternehmen ab. Nach eigenen Angaben arbeitet die Gesellschaft mit mehr als 300.000 Unternehmen in 26 Staaten zusammen.

Viele dieser Kunden werden derzeit ihre Geschäftsbeziehungen zu den Aschheimern ernsthaft überdenken. Entscheidend wird dabei sein, ob die großen Kreditkartenanbieter Visa und Mastercard bei der Stange bleiben oder für die Abwicklung der Zahlungen zur Konkurrenz wechseln. Ohne diese hätte der Dienstleister für die Zukunft kaum eine Chance mehr.

Für den Finanzplatz Deutschland gilt der Skandal um das im Jahre 1999 gegründete Unternehmen als eine der größten Blamagen der Geschichte.

Vor allem das Vorgehen der deutschen Finanzaufsicht Bafin und die Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die über mehr als ein Jahrzehnt die Bilanzen des Unternehmens prüfte, gilt es zügig zu untersuchen.

Für einen Wirtschaftsprüfer unüblich, prangerte EY nun zur Selbstverteidigung an, dass es klare Anzeichen dafür gebe, dass die Bilanzfälschung ein aufwendiger und ausgeklügelter Plan mit klarer Täuschungsabsicht gewesen sei.

Offen ist auch, wie es für die 5.000 Mitarbeiter des Zahlungsabwicklers nach dem Insolvenzantrag weitergeht.

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